Wir erleben zum einen einen ganz enormen Boom mantischer Techniken, sozusagen eine unglaubliche
Verbreitung an erwarteten, unerwarteten Orten, in Tempeln, überall, eigentlich erst in den
letzten paar Jahren. Vorbereitet sich er einmal durch ein wissenschaftliches Studium dieser
Techniken, was er in den 90er Jahren einsetzte, sehr vorsichtig, sehr zaghaft. Und dann vorbereitet
auch durch eine allgemeine oder ermöglicht, erleichtert durch eine allgemeine Zuwendung
sozusagen zu Spiritualität und Religion. Ich würde ja sagen, die Mantik ist durchaus
im Sinne von Seelsorge ein Bestandteil auch religiöser Praktiken. Bevor man sich über
das traditionelle Wissen und seinen Stellenwert in China Gedanken macht, muss man zunächst
mal sich vor Augen halten, dass die Rezeption westlicher Wissenschaft eine zutiefst ahistorische
war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und es zum großen Teil bis heute noch ist
wenig Wissen ist eigentlich nötig gewesen oder war erforderlich sozusagen die mehr
als 2000-jährige Entwicklung der abendländischen Wissenschaften überhaupt zu erforschen. Es
kommt als ein großer Block sozusagen in China an und wird dann mit den entsprechenden auch
zum Teil drakonischen Mitteln ab 1949 vorher auch schon immer wieder in Wellen sozusagen
durchgesetzt. Und in diesem Zusammenhang haben dann traditionelle chinesische Wissenschaften
eigentlich nur noch einen marginalen Status. Man muss die Philosophie neu erfinden. Man
muss einen Kanon erfinden sozusagen von dem, was ist chinesische Philosophie, weil es ja
ein Projekt sozusagen in China, welches vergleichbar wäre mit dem abendländischen Projekt der
Philosophie, nicht gab. Man erfindet sozusagen auch die Geschichte und die Geschichtsschreibung
in vielerlei Hinsicht neu. Nur für die mantischen Künste gibt es zur Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts
kein Pendant mehr im westlichen Kanon. Mit anderen Worten, Astrologie wird an keiner
europäischen Universität mehr unterrichtet, um ein Beispiel zu nennen, oder Physiognomik.
Und da hat es dann natürlich, haben es diese Wahrsagekünste, diese Bewältigungstechniken
der Zukunft schwerer, obwohl sie diesen seelsorgerischen Aspekt mit sich führen. Ich glaube, dass es
kaum einen Ort auf der Welt gibt, wo in der Tat also Synologie und im weiteren Sinne
die wissenschaftliche Befassung mit Ostasien auf der einen Seite und auf der anderen Seite
die Erforschung der Geschichte des europäischen Mittelalters und der frühen Neuzeit so zusammenarbeiten.
Es hat meines Wissens auch noch keine weder intensive noch punktuelle Zusammenarbeit
in dieser Art gegeben. Insofern sind wir relativ einzigartig. Das zum einen. Aber zum anderen
denke ich auch, dass wir ja einer der wenigen Orte sind, wo gewissermaßen zunächst mal
eine Frage von, wie man in Amerika sagen würde, Asianists an Europeanists gestellt
wird. Und das ist ein ganz großer Unterschied zu unserer bisherigen Rolle, gerade als Synologen,
die wir in der Regel marginal wirken. Wir sind das fünfte Rad am Wagen, wir sind die
Gegenprobe. Dann fragt man, ja, wie sieht es denn in China aus? Aber von einer durchaus
sozusagen eurozentrischen Fragestellung aus. Und da denke ich mir, dass die Situation natürlich
in den USA schon ganz anders ist, wo wir Gleichgewichte zwischen Europeanists und Asianists haben.
Da ist auf die Dauer sozusagen so ein Kollege, gerade durch die Tatsache, dass es beweisen
kann, dass es mit Europeanists eben auch geht und durchaus Zukunft haben kann. Und das würde
ich mir sehr erhoffen. Langzeitperspektive für unsere Art von oder unsere Forschungsarbeit
könnte man zunächst einmal mit dem ganz trivialen Statement beantworten, dass der Mensch sozusagen,
solange es Menschen geben wird, sich mit Zukunft befassen muss, Prognosen in der Tat stellen
muss, auch wenn die Prognosen unserer Welt in den letzten Jahren enorm in die Krise gekommen
sind. Ein Ziel des Kollegen wird es wirklich sein, zivilisatorische, kulturelle und geistige
insgesamt Voraussetzungen sozusagen für Prognose, für Vorhersagen im weitesten Sinne sozusagen
zu stellen, gerade weil es bei uns in die Krise gelangt ist. Von daher könnte ich mir
durchaus vorstellen und würde mir es natürlich wünschen, dass sich so eine Forschungsrichtung
sozusagen etabliert, dass sie sich perpetuiert, in welchem Rahmen auch immer, aber dass in
der Tat uns die Möglichkeit gegeben wird, kulturvergleichend und zeitvergleichend, wenn
ich so sagen darf, eben transkontinental und transäporal im Grunde weiterzuarbeiten.
Presenters
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:05:42 Min
Aufnahmedatum
2012-06-01
Hochgeladen am
2016-11-30 11:36:17
Sprache
de-DE
Prof. Lackner, director of the IKGF, envisions in this interview research trajectories of the IKGF. He elaborates on the Chinese reception of Western academia in the 19th and 20th centuries on the one hand, and on the other the significance and role of prognostic techniques in the history of Europe, the USA and China.